Zwei Geraden $g$ und $h$ können in vier verschiedenen Lagen zueinander stehen. Sie können
Identisch bedeutet, dass die beiden Geraden in derselben Richtung verlaufen und unendlich viele gemeinsame Punkte haben ($g = h$). Parallele Geraden verlaufen auch in derselben Richtung, haben aber keinen gemeinsamen Punkt ($g \bot h$). Wenn sich Geraden schneiden, verlaufen diese nicht in derselben Richtung, haben aber einen gemeinsamen Punkt, den Schnittpunkt ($S$). Im vierten Fall der windschiefen Geraden verlaufen sie in unterschiedlichen Richtungen und haben keine gemeinsamen Punkte, aber dafür einen Abstand ($d$) voneinander.
Um nun die Lagebeziehung zwischen zwei Geraden zu untersuchen, bestimmt man zunächst, ob die Richtungsvektoren der beiden Geraden linear abhängig oder linear unabhängig sind.
Für die beiden Geraden \begin{align} g: &\; \vec x = \vec a + r \cdot\vec u \\ h: &\; \vec x = \vec b + s \cdot \vec v \end{align} sind das die Vektoren $\vec u$ und $\vec v$.
Es folgt: \begin{align} \vec u &= k \cdot \vec v \\ \\ \left( \matrix{u_x\\u_y\\u_z} \right) &= k \cdot \left( \matrix{v_x\\v_y\\v_z} \right) \\ \\ \left( \matrix{u_x\\u_y\\u_z} \right) &= \left( \matrix{k \cdot v_x\\k \cdot v_y\\k \cdot v_z} \right) \end{align} Diese drei Gleichungen, in Vektorform geschrieben, liefern drei Lösungen für den Parameter $k$. Ist diese für alle drei Gleichungen identisch, sind die Richtungsvektoren linear abhängig. Sind sie unterschiedlich, sind die Richtungsvektoren linear unabhängig.
Der zweite Punkt der Untersuchung der Lagebeziehung unterscheidet sich, je nachdem, ob die Richtungsvektoren linear abhängig oder unabhängig sind.
RV sind linear abhängig
Wenn die RV linear abhängig sind, können die Geraden nur noch identisch oder parallel zueinander sein. Das bedeutet, zur Untersuchung auf gemeinsame Punkte genügt es zu prüfen, ob es einen beliebigen gemeinsamen Punkt gibt. Dafür kann die Punktprobe gemacht werden.
Für die Punktprobe wird ein beliebiger Punkt der einen Geraden in die Gleichung der anderen Geraden eingesetzt, also z.B. der Stützpunkt $\vec a$ der Geraden $g$ in die Gerade $h$: \begin{align} \left( \matrix{a_x\\a_y\\a_z} \right) &= \left( \matrix{b_x\\b_y\\b_z} \right) + s \cdot \left( \matrix{v_x\\v_y\\v_z} \right) \\ \\ \left( \matrix{a_x\\a_y\\a_z} \right) &= \left( \matrix{b_x\\b_y\\b_z} \right) + \left( \matrix{s \cdot v_x\\s \cdot v_y\\s \cdot v_z} \right) \end{align} Hier gibt es wieder drei Gleichungen, die jeweils eine Lösung für den Parameter $s$ liefern. Sind die drei Lösungen identisch, ist der Punkt $A$ der Geraden $g$ auch Bestandteil der Geraden $h$.
Sind die Lösungen unterschiedlich, ist $A$ kein Punkt der Geraden $h$. Es gibt keine gemeinsamen Punkte.
RV sind linear unabhängig
In diesem Fall werden die beiden Geraden auf einen gemeinsamen Punkt (Schnittpunkt) untersucht, indem die Geradengleichungen gleich gesetzt werden. \begin{align} g &= h \\ \\ \vec a + r \cdot\vec u &= \vec b + s \cdot \vec v \end{align} Die Gleichung wird so sortiert, dass die unbekannten Parameter $r \cdot\vec u$ und $s \cdot\vec v$ nach links und die Stützpunkte nach rechts verschoben werden. \begin{align} r \cdot\vec u - s \cdot \vec v &= \vec b - \vec a \\ \\ r \cdot\vec u + s \cdot (-\vec {v}) &= \vec b - \vec a \\ \\ \left( \matrix{r \cdot u_x\\r \cdot u_y\\r \cdot u_z} \right) + \left( \matrix{s \cdot (-v_x)\\s \cdot (-v_y)\\s \cdot (-v_z)} \right) &= \left( \matrix{b_x - a_x\\b_y - a_y\\b_z - a_z} \right) \end{align} Das entstandene Gleichungssystem kann in eine Matrix überführt werden: $$ A = \left( \matrix{u_x&-v_x&b_x - a_x\\u_y&-v_y&b_y - a_y\\u_z&-v_z&b_z - a_z} \right) $$ Die entstehende Lösungsmatrix muss daraufhin interpretiert werden. Es gibt zwei mögliche typische Lösungen.
Es gibt eine eindeutige Lösung für die Parameter $r$ und $s$, die jeweils in die Geradengleichung eingesetzt werden kann, die daraufhin die Koordinaten des Schnittpunkts angibt. In der letzten Zeile der Lösungsmatrix steht typischerweise die Gleichung $0 = 0$, die besagt, dass es Lösungen für das Gleichungssystem gibt.
Ist die Lösungsmatrix gleich der Einheitsmatrix, existiert keine Lösung für das Gleichungssystem. In der letzten Zeile der Lösungsmatrix steht typischerweise die Gleichung $0 = 1$. Es gibt keinen gemeinsamen Punkt.
RV linear abhängig | RV linear unabhängig | |
gemeinsamer Punkt | $g$ und $h$ sind identisch. | $g$ schneidet $h$ in Punkt $S$. |
kein gemeinsamer Punkt | $g$ und $h$ sind parallel. | $g$ und $h$ sind windschief. |
Alternativ zum oben beschriebenen Vorgehen kann man die Lagebeziehung zweier Geraden auch ausschließlich durch das Gleichsetzen der Geradengleichungen untersuchen. Das soll an vier Beispielen verdeutlicht werden.
Der Ansatz ist immer derselbe:$\qquad g = h$
identische Geraden
\begin{align} g: &\; \left( \matrix{1\\1\\1} \right) + r \cdot \left( \matrix{2\\-1\\1} \right) \\ h: &\; \left( \matrix{3\\0\\2} \right) + s \cdot \left( \matrix{-4\\2\\-2} \right) \end{align} Das Gleichsetzen führt zu der folgenden Lösungsmatrix: $$ L = \left( \matrix{1&2&1\\0&0&0\\0&0&0} \right) $$ Aus der ersten Zeile der Lösungsmatrix geht hervor, dass die Richtungsvektoren linear abhängig sind. $$ 1 \cdot r + 2 \cdot s = 1 $$ Aus der zweiten und dritten Zeile geht hervor, dass es gemeinsame Punkte gibt ($0 = 0$). Mit der Information aus der ersten Zeile kann für den Parameter $r$ die Gleichung aufgestellt werden: $r = 1 - 2s$
Wenn also $s$ bekannt ist oder festgelegt wird, kann auch $r$ bestimmt werden. Beide Parameter führen dann zu einem gemeinsamen Punkt. Da aber die Wahl von $s$ frei ist, gibt es unendlich viele gemeinsame Punkte, also gilt: $\pmb{g = h}$.
parallele Geraden
\begin{align} g: &\; \left( \matrix{1\\1\\1} \right) + r \cdot \left( \matrix{2\\-1\\1} \right) \\ h: &\; \left( \matrix{-2\\1\\3} \right) + s \cdot \left( \matrix{-4\\2\\-2} \right) \end{align} Das Gleichsetzen führt zu der folgenden Lösungsmatrix: $$ L = \left( \matrix{1&2&0\\0&0&1\\0&0&0} \right) $$ Aus der ersten Zeile geht wieder hervor, das die Richtungsvektoren linear abhängig sind ($r = -2s$). Die zweite Zeile besagt hier, dass es keinen gemeinsamen Punkt gibt ($0 = 1$). Damit gilt: $\pmb{g \parallel h}$.
sich schneidende Geraden
\begin{align} g: &\; \left( \matrix{1\\1\\1} \right) + r \cdot \left( \matrix{2\\-1\\1} \right) \\ h: &\; \left( \matrix{-1\\2\\0} \right) + s \cdot \left( \matrix{2\\2\\-3} \right) \end{align} Das Gleichsetzen führt zu der folgenden Lösungsmatrix: $$ L = \left( \matrix{1&0&-1\\0&1&-1\\0&0&0} \right) $$ Für die Richtungsvektoren gibt es eindeutige Lösungen:$r = -1$ und $s = -1$. Damit sind sie linear unabhängig voneinander und führen zu einem gemeinsamen Punkt (letzte Zeile: $0 = 0$), dem Schnittpunkt. Es gilt: $\pmb {g}$ schneidet $\pmb {h}$ in Punkt $\pmb S$.
windschiefe Geraden
\begin{align} g: &\; \left( \matrix{1\\1\\1} \right) + r \cdot \left( \matrix{2\\-1\\1} \right) \\ h: &\; \left( \matrix{-2\\1\\3} \right) + s \cdot \left( \matrix{2\\2\\-3} \right) \end{align} Das Gleichsetzen führt zu der folgenden Lösungsmatrix: $$ L = \left( \matrix{1&0&0\\0&1&0\\0&0&1} \right) $$ Die Einheitsmatrix führt dazu, dass die Richtungsvektoren linear unabhängig sind und dass es keinen gemeinsamen Punkt gibt: Es gilt: $\pmb {g}$ und $\pmb {h}$ sind windschief.
RV linear abhängig | RV linear unabhängig | |
gemeinsamer Punkt | $g$ und $h$ sind identisch. $L = \left( \matrix{1&2&1\\0&0&0\\0&0&0} \right)$ |
$g$ schneidet $h$ in Punkt $S$. $L = \left( \matrix{1&0&-1\\0&1&-1\\0&0&0} \right)$ |
kein gemeinsamer Punkt | $g$ und $h$ sind parallel. $L = \left( \matrix{1&2&0\\0&0&1\\0&0&0} \right)$ |
$g$ und $h$ sind windschief. $L = \left( \matrix{1&0&0\\0&1&0\\0&0&1} \right)$ |
© mondbrand MMXIX